Bleiben? Gehen? Neu beginnen?

Trendbericht

Bleiben? Gehen? Neu beginnen?

23. September 2016 agvs-upsa.ch - Jede vierte Berufslehre in der Schweiz wird abgebrochen. Das Autogewerbe liegt ziemlich genau im Durchschnitt. Das ist kein Drama, aber auch nicht unproblematisch.
 
Allein der Begriff «Lehrabbruch» ist irreführend. Denn die Auflösung eines Lehrvertrages bedeutet keineswegs immer den Abbruch der Ausbildung. 20 bis 25 Prozent aller Lehrverträge werden aufgelöst, doch 50 bis 77 Prozent dieser Lehrlinge setzen ihre Ausbildung fort – viele nahtlos, ander innerhalb von zwei bis drei Jahren. Dies sind knapp zusammengefasst die Resultate eines Trendberichtes des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (EHB) über die Häufigkeit, die Ursachen und Folgen von Lehrvertragsauflösungen.
 
Der Bericht zeigt, dass Lehrabbrüche in der Westschweiz häufiger sind als in der Deutschschweiz, in städtischen Zentren häufiger als in ländlichen Regionen, und er schlüsselt die abgebrochenen Lehren nach Berufsgruppen auf. Besonders oft kommen sie im Coiffeurgewerbe und in der Schönheitspflege (40%) und im Gastgewerbe (35,6%) vor. Auch im Baugewerbe (29%) werden überdurchschnittlich viele Lehrverträge aufgelöst. Das Autogewerbe liegt mit 26,9% knapp über dem Schweizerischen Durchschnitt (24,37%).
 
Die Gründe sind mannigfach, obgleich die Datenlage eher bescheiden ist. Aus Sicht der Lernenden werden schlechte schulische Leistungen, eine geringe Motivation und die mangelnde Information über den Lehrberuf oder den Betrieb angeführt. Auf der anderen Seite führen Konflikte am Arbeitsplatz und schlechte Ausbildungsbedingungen zu Lehrabbrüchen. Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass Vertragsauflösungen in Grossbetrieben deutlich niedriger sind als in Kleinbetrieben.
 
Je schneller die Anschlusslösung, desto besser die Erfolgschancen

In einem Punkt stimmen alle Studien überein: Je schneller ein Jugendlicher oder eine Jugendliche die Ausbildung fortsetzt, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Die meisten Wiedereinstiege finden relativ schnell nach Auflösung des Lehrvertrages statt. So haben beispielsweise im Kanton Zürich rund 60 Prozent der Jugendlichen, die in den Jahren 2007 bis 2009 ihre Lehrverträge aufgelöst haben, innerhalb von drei Jahren wieder eine Berufsbildung aufgenommen.
 
Ein soziales und volkswirtschaftliches Problem bilden jene Jugendlichen, welche die Kurve nicht kriegen. Die Gruppe der Lehrabbrecher, die bis drei Jahre nach Auflösung des Lehrvertrages keine zertifizierende Anschlusslösung gefunden hat, ist einem grossen Risiko ausgesetzt, langfristig ohne Ausbildung zu bleiben. Präzise Zahlen, wie hoch diese Quote ist, fehlen in der Schweiz. Doch die Folgen für diese Jugendlichen sind einschneidend: Neben der psychischen Belastung geht es vor allem um wirtschaftliche Konsequenzen. Diese Lehrabbrecher riskieren, ein Leben lang in schlecht bezahlten Jobs zu arbeiten. Eine Studie schätzt den entgangenen Lohn im gesamten Berufsleben auf 300‘000 Franken. Folglich haben Ungelernte auch ein grösseres Risiko, in der Sozialhilfe zu landen.
 
Demgegenüber sind die finanziellen Schäden für das einzelne Unternehmen überschaubar: Der Bericht schätzt die Kosten im Einzelfall auf lediglich 1000 Franken. Grund für diesen tiefen Betrag ist der Umstand, dass die Lernenden in den schweizerischen Betrieben rasch für produktive Arbeiten eingesetzt werden, so dass schon zu Beginn der Ausbildung kaum Nettokosten entstehen.
 


Olivier Maeder: «25 Prozent sind zu viel»


Ein Viertel aller Lehrlinge im Bereich Kraftfahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge brechen ihre Lehre ab. Erstaunt Sie diese Zahl?
Olivier Maeder, AGVS-Bereichsleiter Bildung: Sie erstaunt mich nicht, das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Aber diese Zahl ist zu hoch.
 
Wie versuchen die Schweizer Garagisten die Zahl der Lehrabbrecher tief zu halten?
Bei der Rekrutierung greifen wir einerseits auf unseren AGVS-eigenen Eignungstest zurück. Er erlaubt uns Rückschlüsse und Empfehlungen, ob eine zwei-, drei- oder vierjährige Ausbildung angestrebt werden soll. In dieser Empfehlung geht es vor allem um die Wahrscheinlichkeit, dass der oder die Lernende die Berufsschule besteht. Diese ist ein häufiger Faktor für die Auflösung eines Lehrvertrages. Ausserdem wird mit Schnupperlehren abgeklärt, ob ein Lernender ins Team passt, wie seine sozialen Kompetenzen sind.

Der Trendbericht schreibt allgemein, dass Grossbetriebe weniger Abbrecher haben als kleine Unternehmen. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen aus der Praxis?
Das kann ich so nicht sagen. Das Schweizer Autogewerbe besteht vor allem aus kleinen und mittleren Betrieben. Grosse Unternehmen wie die Emil Frey AG oder die Amag sind eher in der Minderzahl. Die Ausbildungsqualität lässt sich nicht nur auf die Grösse des Unternehmens reduzieren.

Der Trendbericht beziffert die Kosten eines Abbruchs für den Betrieb auf nur 1000 Franken. Da könnte man ja auch sagen: Was bemühen wir uns, ist doch alles kein Problem..?
Nein, man darf das nicht einfach aufs Finanzielle reduzieren. Ein Lehrabbruch nützt weder dem Lernenden noch dem Betrieb. Unser Ausbildungssystem mit zwei- bis vierjährigen Berufslehren ist zwar sehr durchlässig, so dass eine Abstufung relativ einfach vollzogen werden kann. Aber das kann nicht das Ziel sein.



 
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